Ausstellung / Galerie BH Melk
Poet der Klänge und Farben
Die Bilderserien von Wilhelm Anton Seibetseder werden zu Stationen von imaginären Reisen, die von Klängen der Farben oder den Erzählungen der Zeichen bewegt werden und in ihrem Reservoir verschütteter, verlorener Visionen, Erinnerungen, Märchen und Träume. Irgendwie vermischen sich Erinnerungen von Ort zu Ort, es verdichtet sich zu einer dem Kosmischen zugewandten Vision. Gerade die Serie „Blue Garden“, die von Licht und Glanz, von Strahlen und Tanz durchwirkt ist, erfüllt mit einer poetischen Verführungskraft.
Seibetseders Kunstwelt ist stets eine Faszinierende geblieben; einerseits die überwältigende Poesie der Farben und Zeichen, anderseits das stete Neuerfinden. Sein Spektrum reicht weit: von der urtümlichen kindlich anmutenden Figürlichkeit zu einer leisen, Ornamentalität und Spiritualität verknüpfenden Abstraktion. Schriftzeichen und Figurenzeichen, Farbflächen – bei Blue Garden das inspirierende Blau – sowie Farbformen, Linienstrukturen und ruhig liegende Farbsetzungen gehören selbstverständlich zu seinem breiten Repertoire, aus dem der Künstler seine Erlebniswelt speist. So gibt sich der begnadete Farbmagier als Poet zu erkennen, ebenso auch als Märchendichter. Er ist ein Verführer, ein Schwärmer, ein Tag- und Nachträumer und doch stets ein klarsichtiger Visionär. Denn nur wissend, das solche Gesänge und Dichtungen Laute sind, ausschließlich der Wirklichkeit der Kunst angehören, wissend, dass die materielle Wirklichkeit jede visionäre Energie auszubeuten geneigt ist, um ihre eigenen Ziel gegen diese Visionen durchzusetzen, vermag das kreative Potential seine unbeirrbaren Kräfte zu bewahren.
Wilhelm Anton Seibetseders außerordentliche Kraft liegt möglicherweise in eben dieser Qualität seiner Poesie, wie sie in „Blue Garden“ anklingt. Ihre verführerische, ungeschliffene Ursprünglichkeit, ihre trotzige Heiterkeit widersteht noch der längst schon vereinnahmten Farbenfreude und der verspielten Magie. Sie schöpft aus der Erinnerung an eine spezifische Ursprünglichkeit, die längst jenseits definierbarer Zeiten und Räume liegt.
Eines der wesentlichen Merkmale in der Bilderwelt von „Blue Garden“ ist die Ungeschliffenheit seiner Malerei, die von jedem Raffinement unbelastete Ursprünglichkeit der Chiffren und Formen, die krude Lust an der ungezähmten Leuchtkraft seiner gewählten Farben. Ebendiese bis heute unverbrauchte Ungeschliffenheit des Werks vermag jenen rauschhaften zustand in jeder neuen Begegnung wachzurufen, die Seibetseders Gratwanderung zu einem je neuen Erlebnis macht. Jenseits der intellektuellen Begreif- und Begründbarkeit entfaltet diese Serie eine Sparche, deren Wurzeln im Reichtum des rohen Denkens und Fühlens liegt, das dem Mythos vertrauter ist als der Aufklärung.
Seine Ort- und Raumlosigkeit hält das Werk in der Schwebe, die die subjektive Zwiesprache herausfordert als Brennpunkt einer möglichen zukünftigen Kommunikation. Seine vom Subjekt ausgehende Energie vagabundiert frei im Raum als das ferne Echo zeitloser Dichtung über den Makrokosmos, in dem das Subjektive seine kollektiven wurzeln und Bestimmungen sucht. Es ist die Sehnsucht nach dem Schöpfungsganzen, dessen Sein einzig in der Intensivität des Subjektiven, des nur der eignen künstlerischen Vision verpflichteten „Poeta“ Objektivität, Autonomie behauptet. Aus dieser Quelle speist Wilhelm Anton Seibetseder seine Zwiegespräche in einer zeit- und ortlosen Fiktion weltumspannender Mythen. Aus dieser Quelle gewinnt die sehr eigene Vision eines poetischen Zusammenklangs kreativer Kräfte im Sinnes des Gesamtkunstwerks ein eigenes Gewicht.
DDr. Leopold Kogler
Präsident des Dokumentationszentrums für Moderne Kunst in Niederösterreich