Als unterhielte sich die ewige Harmonie mit sich selbst
„Nichts kann mehr zu einer Seelenruhe beitragen,
als wenn man gar keine Meinung hat”
Georg Christoph Lichtenberg
Kunstausstellungen polarisieren, insbesondere jene von Wilhelm
Seibetseder. In Zeiten permanenter Abmagerungskuren sind mehrschichtig
pastos gemalte Ölbilder für viele ein Gräuel, ein unverzeihlicher
Rückfall in längst überwunden geglaubte Kulturepochen. Die ganz
Gescheiten behaupten, die Malerei sei tot, die weniger Gescheiten
lieben, sammeln und behüten sie. Ich hoffe, dass jeder kultivierte
Österreicher zeitgenössische Malerei liebt oder sie zu lieben lernt. Die
ganz Gescheiten bevorzugen Gedankenkunst d.i. Konzeptart, Computer- und
Videokunst, Minimalart, Kontextart – und die geistig weniger
Bemittelten (die Gefühlsmenschen) Expressionistisches, Gestisches,
Realistisches und Neo-Impressionistisches.
Die gezeigten Ölbilder sind Malerei pur. Immer wieder kommt es vor, dass
sie von Sehbehinderten mit Bildern des Oberösterreichers Gunter Damisch
verwechselt werden. Beide Künstler sind dem Wesen nach so verschieden,
dass es nicht einsehbar ist, wie es zu Verwechslungen kommen kann. Die
Unsitte, Künstler gegeneinander auszuspielen, ist die billigste Methode
vorlauter Besserwisser. Sowohl Künstler als auch Sammler dienen einer
übergeordneten Sache, nämlich der Kunst, und freuen sich, wenn ein Bild
gelungen ist.
Die Freude darüber kann so groß sein, dass man vergisst zu fragen, ob es
avantgardistisch, traditionalistisch oder sonst einem Ismus
verpflichtet sei. Schönheit und Gefühlsreichtum lassen weiteres Fragen
verstummen.
Solche „zeitlosen” Bilder gibt es von Wilhelm Seibetseder. Die deutsche
Sprache hat für das geschundene Wort Schönheit keine adäquaten Begriffe
zur Verfügung. Künstler ist, wer in Kunstwerden Schönheit wiedergeben
kann. Er ist ein Lichtbote inmitten ameisenhafter Geschäftigkeit.
Wer auch immer Kunstausstellungen eröffnet, gerät in Bedrängnis, denn
nur ungenau kann man verbal der Malerei zuleibe rücken. Wort und Materie
sind und bleiben verschiedene Medien. Gesprochene Worte verblassen vor
dem gemalten Bild. Das abstrakte Wort kann mit der Farbigkeit des Bildes
nicht konkurrieren. Seibetseder-Bilder haben nichts mit problematischer
Gedankenmalerei zu tun, sie kommen aus dem Gefühl, unbändiger Sehnsucht
nach Schönheit, kosmischer Weite und Erdverbundenheit. Himmel und Erde
begegnen einander. Konzeptkunst und Malerei stehen fremd einander
gegenüber. Als gedankenarmer Sinnenmensch bevorzuge ich die Letztere.
(Obszöne Kritzeleien an Hauswänden sind mir lieber, weil lebendiger, als
aufwendig gestaltete Installationen in Kunsthallen.) Die überspitzte
Behauptung, Malerei sei tot, kann nur so verstanden werden, dass
Ölmalerei heute antiquiert sei, dass sich künstlerischer Fortschritt nur
in zeitgemäßen Medien manifestieren könne. Ja und nein. Kühn behaupte
ich, solange es Menschen gibt, wird es auch Malerei geben. Ich kann mir
nicht vorstellen, dass Kunstfreunde ein Leben lang sich mit
Installationen oder Videokunst abspeisen lassen. Kunstbestätigung nur im
Kopf, durch überhitzte Subventionitis ein Scheinleben führend, kann
nicht die Kunst der Zukunft sein. Auch Brot und Milch kann durch
Astronautenkost nicht ersetzt werden.
Seibetseders kosmisch gesättigte Malerei kommt nicht aus Selbsthaß und
Ablehnung des Individuellen, sondern aus der Seinsfülle. Wer
Farbengluten ausweicht, weicht Lebendigem aus. Totes hat keine Farben
anzubieten. Wer Malerei erwirbt, bezeugt, dass er noch lebe und kein
Computerwesen sei. Die seit Jahren anhaltende Zwangsbeglückung mit
blutleeren Kunstismen kann nicht der Stein des Weisen sein. Van Gogh sah
sich zuerst den Menschen an, dann erst seine Kunst.
Ich kann mir vorstellen, dass immer mehr Menschen Bilder von Wilhelm
Seibetseder sehen und erwerben möchten. Ist er ein österreichischer Jan
Sibelius der Malerei.
(Quelle: Vernissage 5/95)
Von Prof. Wolfgang Graninger, Ausstellung Zürich Kosmos Wien 1995